Kleines Fläschchen, grosse Wirkung
In zahlreichen Cocktails ist eine gewisse Bitterkeit die alles entscheidende Geschmackskomponente. Die kommt natürlich durch bestimmte, bereits bittere Zutaten ins Glas. Sie kann aber auch mit Hilfe von speziellen Cocktailbitters ganz bewusst dosiert und eingesetzt werden, um Drinks zu verfeinern, ihren einen ganz eigenen Charakter zu verleihen und um die unterschiedlichen Ingredienzen miteinander zu harmonisieren. Die Tinkturen in den kleinen Fläschchen sind wahre Wunderwaffen der Barkultur. In diesem Artikel erfährst du, was es mit Bitters auf sich hat und was du bei der Verwendung beachten solltest. Wir müssen über Mazeration reden – und auch über Tropenkrankheiten.
Tropfen für Tropfen sensationell
Die Basis von einem Bitter ist Alkohol – und zwar nicht zu knapp. Zwischen 30 und 50 Prozent liegt der Wert, also auf Augenhöhe mit gängigen Spirituosen. Purer Genuss ist hingegen ausgeschlossen, der Geschmack ist einfach zu intensiv und haut auch den unerschrockensten Tresen-Profi aus den Schuhen. Das Geheimnis liegt in der Herstellung – der Mazeration. Über mehrere Wochen werden die zahlreichen Zutaten eines Bitters in Alkohol eingelegt, streng getrennt nach Produktgruppen, die jeweils unterschiedlich lang in den Volumenprozent baden. Welche Ingredienzen genau zum Einsatz kommen, ist von Rezept zu Rezept unterschiedlich. Oft findet man jedoch Chinarinde, die Enzianwurzel und verschiedene Samen. Haben sich die Bitterstoffe der einzelnen Zutaten in ihren Alkoholbädern dann ausgeprägt, werden alle zusammen erneut mazeriert. Dann entscheidet sich auch ihr tatsächliches Geschmacksprofil, das sich im Namen wiederfindet: Orangenbitter, Pfirsichbitter, Minzbitter sind heute genauso verbreitet wie die so genannten „Aromatic Bitters“, die auf eine deutlich komplexere Komposition setzen und keine klare Identifikation eines dominierenden Geschmacksträgers zulassen. Bei allen Sorten gilt jedoch: Die Zutatenliste ist umfangreich, die genaue Zusammensetzung natürlich geheim und der Herstellungsprozess kompliziert und langwierig.
Ein Blick in die Geschichte
Beginnen wir unsere Forschungsreise am Limonadenregal. Genau dort dürften viele ihre ersten Erfahrungen mit bitteren Getränken gemacht haben – mit Bitter Lemon und Tonic Water. Diese beiden klassischen Filler, die ja auch aus der Bar nicht wegzudenken sind, schmecken anders. Sie sind süss, aber nicht ausschliesslich. Tatsächlich bestimmt eine bittere Note ihren Geschmack, die nicht nur Abwechslung im zuckrigen Alltag garantiert, sondern sie auch dank ihres vielseitigen Geschmacks für die Mischung mit Spirituosen prädestiniert: Sie sind eine Art Brücke im Glas. Die Geschichte dieser Filler begann nicht etwa im Labor, sondern in der britischen Armee. In den indischen Kolonien vermischte man Soda Water mit dem bitteren Chinin, um Malaria zu behandeln. Das schmeckte natürlich nicht besonders, und um die verordnete Medizin erträglicher zu machen, fügten clevere Soldaten und Offiziere einfach ein paar Zutaten ihrer Rationen hinzu: Zucker und Gin. So liess sich das schon besser aushalten – und die Urform eines Cocktail-Klassikers war ganz nebenbei auch erfunden.
Die Geschichte der Bitters begann unter ähnlich prekären Umständen. Anfang des 19. Jahrhunderts stand der deutsche Arzt Johann Gottlieb Benjamin Siebert im Dienst des südamerikanischen Freiheitskämpfer Simón Bolívar. Die Soldaten des „El Libertador“ kämpften ebenfalls mit Tropenkrankheiten. Der Doktor mischte die unterschiedlichsten Zutaten – unter anderen auch die Chinarinde, aus der das Chinin extrahiert wird – zu einer Medizin. Und weil man gerade in Angostura (heute: Ciudad Bolívar) war, nannte er sein Tonikum auch so. Bolívar gilt in vielen süd- und lateinamerikanischen Ländern noch heute als Volksheld, irgendwas wird als dran gewesen sein an diesem Tonikum, das schnell als Allheilmittel galt und schliesslich auch in Speisen und Getränken eingesetzt wurde. Siebert hingegen wurde Geschäftsmann und vermarktete die Tinktur als Angostura. Der erste Bitter war geboren. Und garantiert bis heute einzigartigen Geschmack.
Wie wirkt ein Bitter im Cocktail?
Die intensiven und vielfältigen Geschmacksprofile der Bitters haben fast schon magisches Potenzial. Da sie selbst schon so viele Nuancen mitbringen, lassen sich mit ihnen Zutaten im Glas zusammenbringen, die man vielleicht noch nie zusammen gedacht hat. Dank ihrer speziellen Würzigkeit sind die Bitters nicht nur dafür verantwortlich, dass sich bestimmte Zutaten plötzlich geschmacklich die Hand reichen, sondern bringen auch ein mannigfaltiges Eigenleben mit, welches vielen Drinks erst zu ihrem ikonischen Status verholfen hat. Ein Manhattan oder ein Old Fashioned ohne Bitter? Das wäre nur die halbe Miete, wenn überhaupt. Dabei kommt es jedoch immer auf die richtige Balance an. Schon ein Tropfen zuviel kann dazu führen, dass der Cocktail nicht mehr schmeckt.
Welcher Bitter ist der richtige für mich?
Das Angebot an Bitters hat sich in den vergangenen Jahren deutlich vergrössert. Nicht nur die etablierten Player wie Angostura stellen die Tinkturen her, auch vermehrt kleinere und lokale Firmen experimentieren und bereichern den Markt. Wer sich mit Bitters noch gar nicht auskennt, sollte sich beraten lassen. Was gibt es überhaupt, und welche Sorten passen am besten zu den Spirituosen und Cocktails, die man selbst bevorzugt? Nehme ich einen dunklen für Whisky und einen hellen für Gin? So einfach ist es leider nicht, denn der Bitters-Trend der vergangenen Jahre hat diese Rechnung etwas aus dem Gleichgewicht gebracht – es gibt einfach zu viel zu entdecken. Eine gute Anlaufstelle ist natürlich das Bar-Personal, dem man eh schon vertraut. Am Tresen darf man auch mal kosten, um einen besseren Eindruck zu bekommen. Das funktioniert ungefähr so wie bei einer Parfüm-Probe. Einen Tropfen auf den Finger träufeln, gut verreiben, dann riechen und ganz vorsichtig ablecken.