Mehr als nur Zitronenscheibchen
Die allerwenigsten Cocktails kommen ohne die nötige Portion Säure aus. Standesgemäss kommen in den meisten Bars dafür Zitrusfrüchte zum Einsatz. Da aber die meisten Limetten, Zitronen und Orangen weite Wege zurücklegen müssen, um an hiesige Tresen zu gelangen, greifen heute immer mehr Bartender auch auf Säurelieferanten wie Essig, Shrubs, Verjus oder auch Säfte von regionalen Früchten zurück. Wir liefern einen Überblick über die heute wichtigsten Säurequellen hinter der Bar.
Essig & Shrub
Essig erlebt nicht nur in der Kulinarik eine grosse Renaissance. Vorbei die Zeiten als man daheim Essig eher zum Putzen als zum Verfeinern und Abschmecken von hochwertigen Gerichten benutzte. Heute kann Essig wie Wein ein exklusives Luxusprodukt sein und immer häufiger finden auch Balsamico oder Apfelessig den Weg in feine Cocktails. Essig kommt heute in vielen Bars als Shrub zum Einsatz. Hierbei handelt es sich um essiggesäuerte Fruchtsirups, die man recht einfach mit saisonalen Früchten wie Erdbeeren, Brombeeren oder Himbeeren ansetzen kann. Dafür nimmt man zu gleichen Teilen Frucht, Zucker und Essig. Nachdem man das Obst im Zucker für zwei, drei Stunden ziehen lässt, wird der Essig hinzugefügt. Alles wird gut vermengt und verrührt und anschliessend passiert bzw. gefiltert. So entsteht für Bartender ein völlig neuer Spielraum, um süsslich-saure Komponenten in Drinks zu bringen, die jenseits des klassischen Zitruskanons funktionieren.
Zitrusfrüchte
In einer gut ausgestatteten Bar wird man neben viel Eis auch immer frische Zitrusfrüchte finden. Als Garnitur sind Fruchtscheiben und Zesten unerlässlich. Der Saft von Limette, Zitrone, Orange und Co. sorgt bei unzähligen Drinks für elementare und fruchtig-frische Säurekomponenten. Da die Qualität der Säure den Drink definiert, sollte man zuallererst auf frisch gepresste Säfte in Bio-Qualität achten. Heute nimmt man gerne auch mal weniger geläufige Zitrusfrüchte wie Yuzu, Satsuma oder Australische Fingerlimette. Denn jede Frucht verfügt über einen eigenen Charakter und eigenes Säureprofil. Dominiert bei der Zitrone zum Beispiel die Zitronensäure, findet man bei der Limette mehr Apfelsäure und Bernsteinsäure, was sich im Geschmack und Aroma niederschlägt. Frische Säfte lassen sich gut vorbereiten und müssen nicht per se à la minute in den Drink gepresst werden. Man sollte allerdings darauf achten, dass Säfte nach einer Zeit anfangen zu oxidieren. Erfahrungen zeigen, dass ein gepresster Grapefruitsaft bis zu zwei Tage gekühlt aufbewahrt werden kann. Orangensaft sollte hingegen eher binnen weniger Stunden verbraucht werden.
Verjus
Der Name Verjus stammt aus dem Französischem (vert jus/grüner Saft) und war bei den Griechen bereits 400 vor Christus bekannt. Verjus entsteht durch das Pressen unreifer Weintrauben und ist generell weniger sauer als Essig. In Ländern wie dem Iran und der Türkei kommt Verjus bei vielen Gerichten statt Essig und Zitrone zum Einsatz. In Europa war Verjus bis zur Einführung der Zitrone durch die Kreuzfahrer ebenfalls populär, gelang danach aber ein bisschen in Vergessenheit. Der bekannte Dijon-Senf wird aber bis heute mit Verjus und nicht mit Essig hergestellt. In der Bar ist Verjus ebenfalls ein vielseitiger und spannender Säurelieferant. Er hat nämlich weichere und nachhaltigere Säurenoten als die Zitrone und wird deshalb vor allem auch in der Spitzengastronomie geschätzt.
Johannisbeere und andere Säurequellen
Man erkennt bereits, dass man bei der Zubereitung von Cocktails viele Freiheiten hat, um an die nötige Säure für einen geschmackvollen Drink zu kommen. Statt Zitrusfrüchten mal mit einem frisch gepressten Johannisbeersaft zu arbeiten, kann genauso zu tollen Ergebnissen führen wie der Einsatz von Granatapfelsaft. Aber auch die Säure von Wein, Champagner oder Berliner Weisse können in einer Drink-Komposition interessante Facetten schaffen. Erlaubt ist wie immer, was gut schmeckt. Und für jeden Bartender lohnt es sich, ein vielseitiges „Vokabular“ von Säurequellen am Start zu haben. Denn regional und saisonal zu arbeiten ist heute wichtiger denn je, und auch die omnipräsenten Zitrusfrüchte haben Saison und schmecken nicht das ganze Jahr über so, wie man es sich für einen perfekten Drink wünschen würde.