Erstaunliches aus dem Trester
Lange Zeit galt der aus den Überresten der Weinproduktion hergestellte «Tresterbrand» als einfacher Bauernbrand ohne Anspruch. Dies änderte sich spätestens dann, als Italien seinen Grappa auf die Bühne der internationalen Genusswelt brachte. Heute bringt diese besondere Kategorie des gebrannten Weins bemerkenswerte Qualitäten hervor.
Darf es noch ein «Grappa» (von «grappolo», zu Deutsch «Traube» und in der Mehrzahl «Grappe») sein? Wer dies bejaht, hat wahrscheinlich alles richtig gemacht nach einem Mahl beim Italiener seiner Wahl. Denn heute ist der aromatische «Tresterbrand», destilliert aus der verbliebenen Maische der Weinproduktion ( «Trester», «Treber» oder «Träsch»/«Trasch»), eine echte Spezialität und wird überall dort hergestellt, wo auch der Wein gedeiht. Dabei sind Tresterbrände, ebenso wie der Wein, häufig ein eigenwilliger Ausdruck der Herkunftsregion, des Weinguts und des Brenners selbst. Vor allem pur als Digestif oder als «Caffè Corretto» im Espresso nach einem guten Mahl wurde er einst als Grappa weit über die Grenzen Italiens hinaus populär. Da es an der Bar jedoch kaum Drinks mit ihm gibt (eine Variante wäre ein Grappa Sour), gilt er vor allem als eine Spezialität für Kenner und Geniesser.
Wann der Tresterbrand das erste Mal hergestellt wurde, ist nicht bekannt, spätestens aber mit dem Einzug der Destillationstechnik in Europa. Erstmals schriftlich erwähnt wurde der Grappa im Jahr 1451. Einst von bescheidener Qualität und bodenständiges Getränk, wurde er auf den Weingütern z.B. von fahrenden Brennern gebrannt und für den eigenen Konsum genutzt. Lange verblieb er so im Regionalen, ob nun in Italien, in den deutschsprachigen Ländern, in Frankreich, Osteuropa oder gar in Vorderasien. Von den 1960er bis in die 1980er Jahre hinein trat jedoch Italien – und hier allen voran der Norden mit Piemont, Lombardei, Trentino-Südtirol, Venetien und Friaul-Julisch Venetien – mit seinem Grappa im Zuge der berühmten «Cucina» an, ihn international bekannt zu machen und, gegenüber der Spezialitätenproduktion einzelner Weingüter und Brenner, im grossen Massstab herzustellen. Später gesellte sich als populäre Variante z.B. auch der «Marc» aus Frankreich hinzu.
Frischer und aromatischer Trester für den besten Grappa
Die Produktion eines reintönigen Tresterbrands ist im Prinzip mit jener der Weinbrände im Allgemeinen verwandt, jedoch mit einem entscheidenden Unterschied. So wird nicht der Grundwein destilliert, sondern die Überreste der Vergärung – nämlich die ausgepressten Traubenschalen und -kerne, selten noch die -kämme (da diese heute zumeist «entrappt» werden). Zu frühen Zeiten kamen hierfür allerlei Rebsorten zum Einsatz. Heute spielt – dank guter Kenntnisse um die Aromatik – die Wahl der Rebsorte eine umso wichtigere Rolle. So werden z.B. gerne solche Rebsorten genutzt, die einen hohen Anteil an sogenannten «Terpene» – aromatischen Anteilen – und damit einen kräftigen, eigenen Charakter mit sich bringen, darunter z.B. Riesling, Müller-Thurgau, Traminer und Moscato.
Je besser der daraus hergestellte Grundwein, desto besser der gewonnene Trester aus der ersten Pressung mit seinen Frucht- und Heferückständen. Unterschieden wird zwischen «naturreinen», «halbvergorenen» und «durchgegorenen» Trestern. Naturreine Trester mit einem hohen Anteil an unvergärtem Zucker entstehen vor allem aus weissen Rebsorten und müssen nach der Pressung noch einmal abschliessend und unter Luftabschluss final vergoren werden. Halbvergorene Trester entstehen aus weissen und roten Trauben. Durchgegorene Trester entstehen zumeist aus roten Trauben, haben bereits mit dem Weinmost gegärt und bringen einen entsprechenden Alkoholgehalt mit sich. Neben der Qualität der Vergärung ist zudem der «Mostanteil» relevant, der nach der Pressung im Trester verbleibt.
Die nachfolgende Destillation muss aufgrund der nötigen Frische – sonst drohen Bakterienbefall und Schimmelbildung – so bald wie möglich durchgeführt werden. Klassisch geschieht dies in der Kupferbrennblase («Alambic»), in moderner Machart in der Kolonne. Und wo einst die direkte Befeuerung oft für schlechte Qualität durch ein Anbrennen des Tresters sorgte, verbesserte die Technik – zuerst die schonende Erhitzung durch ein Wasserbad, später v.a. die Destillation über Wasserdampf – später die Qualität. Zur Lagerung kommt der fertige, bereits zu diesem Zeitpunkt aromatische Brand zunächst in die typischen «Glasballons», zur weiteren Reife aber auch in Fässer unterschiedlichster Herkunft, um dem Tresterbrand ein besonderes Profil zu verleihen.
Für den herkunftsgeschützten Grappa – er darf unter diesem Namen nur in Italien hergestellt werden – gibt es zudem gewichtige Vorschriften in der Herstellung. So müssen z.B. die Trauben zwingend in Italien gelesen werden. Zudem ist die maximale Restfeuchte des Tresters gesetzlich reguliert. Ebenso ist es für Grappa untersagt, Trester von Zweitweinen zu verwenden, die durch das Auslaugen mit Wasser entstanden sind. Zudem darf der Trester nur auf maximal 86% Alkoholvolumen destilliert werden, um seine ursprünglichen Aromen gut zu erhalten. Abgefüllt wird Grappa häufig in besonderen, aufwändig gestalteten Glasflaschen (z.B. Kristallkaraffen aus Muranoglas). Destillate aus ganzen, vergorenen Trauben dürfen nicht als Grappa bezeichnet werden. Sie werden stattdessen «Aquavite d´Uva» («Traubenbrand») genannt.
Ob klar oder gereift – Grappa und mehr in erstaunlicher Vielfalt
Tresterbrände gibt es heute, neben dem italienischen Grappa, in vielen Ländern, darunter in Portugal («Bagaceira»), Spanien («Orujo»), Griechenland («Tsipouro»), Zypern («Zivania»), Ungarn («Pálinka») oder Frankreich («Marc»). Beim Grappa (z.B. Paesanella) steht ungereift der «Grappa Bianca», gereift der «Grappa Barrique» zur Verfügung. Unter den gereiften Grappe reift ein «Invecchiata» mindestens 12 Monate (davon 6 im Fass); ein «Riserva» oder auch «Stravecchia» mindestens 18 Monate, aber auch gerne zehn bis 15 Jahre. Zudem gesellt sich der «Aromatizzata», welcher mit natürlichen Kräutern, Gewürzen oder Früchten aromatisiert wird (z.B. Raute). Bei uns populär wurde auch der Marc aus Frankreich, wo er u.a. als «Marc de Bourgogne» (z.B. Morin Père et Fils) mit teils langen Reifezeiten als «Vieux», «Très Vieux» oder als «Marc Egrappé» (vom Grossteil der Traubekämme befreit) auf den Tisch kommt. Für den perfekten Genuss setzt man üblicherweise auf ein «Tulpenglas», welches die Aromen besonders gut öffnet und erstaunliches aus dem Trester offenbart!